Reiseberichte

Creative Circus Camp in Ashapuri 04.–21.03.2015

Ich komme an, im VRO Ausbildungszentrum Ashapuri in Nord-Odisha, und da erwarten mich fünfzig erwartungsvolle Gesichter, neugierige Blicke, aufgeregte Stimmen und das Willkommen: „Sagarsam”. Hier sind die dreißig Ashapuri sowie zehn Gast-Trainees aus Bayakumutia und Thumudibanda vor mir versammelt und ich kann erst gar nicht glauben, wieder hier zu sein, die bekannten Klänge, Gerüche und Farben.

Selbst habe ich mir vorher noch den Kopf zerbrochen. Ich möchte etwas Neues ausprobieren, ein Bewegungsprojekt mit Spielraum und Kreativität, neue Wege entwickeln, zwischen Tribaltanz- , theater und Circus. Meine eigenen Erfahrungen der letzten Jahre mit Theatertherapie und sozialpolitischem Theater haben meinen Blick auf Kunst verändert, und mich interessieren Geschichten in Bewegungen. Allerdings ist mir auch bewusst, dass Eigeninitiative und das Entwickeln neuer, unbekannter Formen nicht so einfach in die indische Kultur integrierbar ist.

„Circus, Circus”, rufen mir die Trainees zu und um eine kleine Beginn-Show komme ich nicht drum herum. Keine der hier versammelten jungen Mädchen (12-20 Jahre) kam bisher mit Circus in Berührung, doch scheint es für sie wie ein exotisches Zauberwort, und erst jetzt wird mir bewusst, was für tiefe Wurzeln unsere ersten Circusprojekte in 2010 und 2012 gefasst haben (damals für drei Wochen in Bayakumutia). Der Circus und die Aufführungen in den Dörfern haben hier wohl viel bewegt und erregen Interesse und Anziehung. Es ist etwas ganz Neues für die Dorfbewohner und macht die Mädchen so zu etwas Besonderem. Auch der Prozess des gemeinsamen Gestaltens eines Programms mit Beteiligung aller ist speziell für die Trainees.

Diesmal habe ich kein Circusmaterial im Gepäck und möchte mich vor allem auf die puren Bewegungen und auch stärker auf die Tribalkultur konzentrieren. Der Circus soll nur ein Ergänzungsmittel für die bereits bestehende, reiche Kunstform sein.

Ich merke allerdings auch schnell, dass meine Ideen von „kreativen, freien Prozessen” zwar lächelnd bejaht, aber kaum verstanden werden. Die Trainees wollen Circus skills lernen – also erstmal „back to the roots” und dann weitersehen.

Wir beginnen mit dem Basic-Akrobatik-Programm in zwei Gruppen zu je zwanzig Trainees und ich lege besonderen Wert auf Selbstständigkeit, gegenseitiges Unterstützen, und dass die Teilnehmer bald selbst den Ablauf einer Unterrichtsstunde im Blut haben und in Zukunft auch übernehmen können. Wir benutzen unsere Fehler und entwickeln aus schiefen Rollen, halbmutigen Rädern neue Bewegungsformen, die andere Richtungen im Raum nehmen. In die Akrobatik fließen direkt Tribaltanzbewegungen mit ein und sehr viel indisches Fingerspitzengefühl (Handhaltungen beim Tanz). Beim Tribaltanz steht das Anbeten der zahlreichen hinduistischen Götter im Mittelpunkt und durch bestimmte Formationen werden die Eigenschaften der einzelnen Götterfiguren getanzt. Die Pyramiden werden mit diesen Formen geschmückt und wirken direkt viel „indischer“.


Auch beim Jonglieren gebrauchen wir die hier typischen Essschalen, transformieren Alltagsgegenstände in Balanceobjekte und basteln wieder selbst Jonglierbälle. Wir pobieren Rhythmen und lassen Gesang in die Nummern miteinfließen.

Begleitet werden wir von den zwei „music“-teachers, zwei drahtige Dschungelmänner, die mit Trommel und Akkordeon Stimmung machen.

Geplant ist eine Aufführung am 21. Im nächsten VRO-Dorf „Chandapasi“, dessen Ausmaß mir allerdings nicht bewusst war. Dreihundert Dorfbewohner, einige Trainees und Volunteers aus umliegenden Zentren, der Field Coordinator sowie Mitglieder anderer ortsansässiger sozialer Organisationen sind geladen. Dies wird auch mein erster Dorfbesuch diesmal sein, da ich mich momentan nicht einfach „frei“ außerhalb des Zentrums bewegen kann. Die Dorfgegenden in Odisha sind für Ausländer nicht mehr einfach zugänglich, die politische Situation durch Entführungsfälle extremer Stammesgruppen, die westliche Einflüsse verhindern wollen, angespannt. Die Vorführung ist eine Ausnahme und es erstaunt mich immer wieder, wie schnell hier Veranstaltungen aus dem Boden gestampft und große Menschenmengen zusammengetrommelt werden.

Dieses „Alles aus dem Nichts“ empfinde ich als sehr indisch und erlebte ich auch bei meinem Besuch im Theaterdorf „Natya Chetana“ (Awareness theatre) in der Nähe von Bhubaneswar. Hier konnte ich vor und während meines Aufenthalts in Ashapuri für einige Tage hospitieren, bei einer Aufführung sowie Proben zu einem anderen Stück. Natya Chetana entstand durch eine Gruppe von Theaterstudenten, die neue Wege des Theaters suchten und wie dieses die Gesellschaft beeinflussen kann. Sie bauten sich eine kleine (Dorf-)Gemeinschaft, um zusammen zu leben, zu  arbeiten und in umliegenden Dörfern aufzutreten. Mittlerweile besteht die Theatergruppe aus Amateurschauspielern, die für die Themen ihrer Stücke in Dörfern Geschichten und Probleme sammeln und diese im Tribaltheater verarbeiten. Themen der Stücke sind Korruption, Industrialisierung und Ähnliches, immer geht es um die Lebenssituationen der Tribalbevölkerung, darum ihnen ein Sprachrohr zu geben, sowie zu Engagament aufzurufen. Das Tribaltheater ist unglaublich reich an ganz simplen ästhetischen Elementen und verbindet genial Bewegung mit Ausdruck. Hier entdecke ich die Bildakrobatik, Bühnenbilder werden aus Körpern und Bewegungen geschaffen und aus wenig Material wie Stöcken und Tüchern ganze Szenarien gebaut. Stets begleitet werden die gespielten Geschichten von Gesang und Tanz. Es ist bewundernswert, wie viel Energie, Können und Motivation die Gruppe auf der Bühne zeigt. Mein Anliegen ist es auch, die VRO mit dem Theaterdorf zu verbinden und womöglich einen Workshop in einem Zentrum zu organisieren.


 

Erstmal versuche ich, meine neuen Erfahrungen in unser Camp miteinfließen zu lassen und vor allem die Sprache durch Bildakrobatik zu benutzen. Wir binden jede Nummer in eine Geschichte ein und üben auch kleine Theaterstücke der Trainees in Verbindung mit Akrobatik ein. Zudem möchte ich selbst ein kurzes Stück zeigen, in dem ich meine Postion als Besucherin in indischen Dörfern (nicht als wandelnde Geldquelle) schildern und mein Interesse am Austausch durch Kultur darstellen möchte. Trainees und Volunteers unterstützen mich und spielen die Dorfbewohner.

Immer wieder zweifle ich an meinen Ideen, stelle in Frage, welche Rolle ich hier spiele. Oft ist es unglaublich anstrengend, jeder Versuch, Initiative von Seiten der Trainees zu erzeugen, erfordert viel Energie und ist oft nicht erfolgreich. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass auf mein Engagement gewartet wird und immer wieder suche ich meine Kraft in den verborgensten Winkeln, zwischen der Verzweiflung durch Sprachlosigkeit, Distanz und auch die Hitze. Doch werde ich auch stets überrascht und lerne vor allem, dass es darum geht, einfach etwas gemeinsam zu gestalten, Stimmungen zu erzeugen und, ja – das wichtigste sind die Spiele. Gemeinsame Action-, Vertrauens- und Reaktionsübungen, verpackt in ein Spiel, sind meiner Meinung nach der eigentliche Prozess und machen das aus, was im Moment entsteht. Auch wenn dies keine direkten, sichtbaren Resultate sind, so ist es doch das, was Gemeinsamkeit hervorruft, Sprachbarrieren und damit verbundene Energielosigkeit zu beseitigen vermag. Wenn es gar nicht mehr weitergeht und ich das Gefühl habe, gegen Wände zu rennen, hilft meist ein schnelles Spiel und danach weht frischer Wind.

  
Nun bin ich gespannt auf die nächsten, intensiven Tage und die Vorbereitungen für die Aufführung und froh, dass dieser Artikel, trotz mehrerer „Power cuts“ und ungewollter Schreibpausen entstehen konnte.

Über Fragen und vor allem Anregungen aller Art freue ich mich sehr,
Namaskar, Leoni

 

VRO Indienreise vom 21.12.2012 bis 5.1.2013

Diesen Reisebericht können Sie auch als pdf hier herunterladen.

Am Freitag, den 21.12.2012 sind wir morgens in Freiburg gestartet und über Dubai nach Kalkutta geflogen. Der Inlandsflug von Kalkutta nach Bubaneswar wurde leider um 8 Stunden verschoben, so dass wir erst am 22.Dezember 2012 abends in Bhubaneswar (Hauptstadt des Bundesstaates Odisha) ankamen. Dort werden wir von den VRO Verantwortlichen für Odisha und zwei Mitgliedern unserer Gruppe, die schon vor zwei Wochen nach Indien gereist sind, herzlich begrüßt. Nun ist unsere Reisegruppe von acht Personen komplett.

Am 23.12.2012 fahren wir um 5:30 Uhr ab zum VRO Old-Age-Zentrum Ashapuri. Die ersten Eindrücke von Indien während dieser dreieinhalbstündigen Autofahrt sind für uns sehr gewaltig, da wir das erste Mal nach Indien gereist sind. Überwältigt sind wir dann vom unerwarteten Empfang in Ashapuri mit Trommelmusik und Tanz beim Neighborhoodfestival 2012, dem jährlich stattfindenden Treffen aller VRO-Zentren aus Odisha mit ca. 150 Kindern, Jugendlichen, Senioren und ihren Mitarbeitern.

Wir werden als Gäste mit Blumenketten,Musik und Tanz empfangen und die Kinder und Jugendlichen bilden einen Spalier zum toll dekorierten Festzelt, das extra für diesen Tag aufgestellt wurde. Den ganzen Tag über gibt es Ansprachen von offiziellen Vertretern der lokalen Regierung, von VRO-Vorständen im Wechsel mit Tanz-, Musik- und Zirkusvorführungen der einzelnen Zentren. Über Mittag werden die Marktstände der einzelnen Zentren feierlich eröffnet Anschließend geben die Leitungen der einzelnen Zentren ihre Jahresberichte. Die Veranstaltung wird durch weitere Vorführungen fortgeführt und dauert bis 21:00 Uhr. Wir verabschieden uns etwas früher wegen der langen Rückreise.

 

Am 24.12.2012 halten wir uns in der Innenstadt von Bhubaneswar auf, der Hauptstadt des Bundesstaates Odisha mit 1,2 Millionen Einwohnern. Ganz in der Nähe unseres Hotels gibt es einen großen lokalen Markt mit Gemüse, Obst, Haushaltsartikeln, Stoffen und vielem mehr. Von der Größe und der Atmosphäre des Marktes sind wir sehr fasziniert und beeindruckt. Um 23.00 Uhr fahren wir zur Christmette in die katholische Kirche in Bhubaneswar mit dem hiesigen Bischof. Eine Gruppe von vier belgischen Studenten, die ebenfalls die VRO Odisha besucht , begleitet uns. Anschließend feiern mit unserer Gruppe im Hotelzimmer noch ein bisschen Weihnachten bei Kerzenschein, selbstgebackenen Weihnachtsbrötchen und mit ein paar Weihnachtsliedern. Es tut gut, diesen erlebnisreichen Tag und die vielen neuen Eindrücke mit vertrauten Bräuchen ausklingen zu lassen. Weihnachten fühlt sich hier schon anders an, auch wenn in der Stadt ,u.a. auch an unserem Hotel, Plakate mit der Aufschrift „Merry Christmas and a Happy New Year“ prangen.



Am 25.12.2012 sind wir zum Mittagessen zu Hause bei Albert, einem Mitarbeiter der VRO Odisha, eingeladen. Der Regionalkoordinator der VRO Odisha, Pitambar Sethy begleitet uns dorthin. Wir werden von der ganzen Familie sehr herzlich empfangen und es gibt ein feines Mittagessen. Anschließend singen wir deutsche und indische Lieder.

 

 

 

Am 26.12.2012 beginnt unsere zweitägige Reise zu sechs der Zentren und einem Dorf der VRO Nordodisha, Mr. Sethy und Mr. Rout, Koordinator für Nordodisha, begleiten uns. Nach einer anstrengenden 5-stündigen Autofahrt erreichen. wir um 13.00 Uhr Gonasika.
Das Ausbildungszentrum für Jungen besteht seit 1979 und liegt völlig abgeschieden in den Bergen Odishas. Hier werden derzeit 25 Jungen im Alter von 14-16 Jahren in den Bereichen Schneiderei und Holzbearbeitung ausgebildet. Die Jungen kommen aus den umliegenden Dörfern und leben hier zwei Jahre um neben ihrer Ausbildung auch lebenspraktische Fertigkeiten wie z.B Gartenanbau und Kochen zu lernen. Nach einem herzlichen Empfang und dem Mittagessen besichtigen wir die Werkstätten, Schul- und Schlafräume, den Garten so wie die von den Studenten der EWB (Engeniers without Borders) aus Karlsruhe installierte Solaranlage. Am späten Nachmittag verabschieden wir uns.


Wir fahren einige Kilometer zurück und besuchen das Gesundheitszentrum Gonasika.
Neben dem zuständigen Gesundheitsmitarbeiter treffen wir dort fünf junge neue Mitarbeiter an, die ebenfalls an diesem Tag angekommen sind und ihre Arbeit dort aufnehmen sollen. Die VRO führt hier eines der beiden Pilotprojekte für das neue Clusterkonzept, ein Dorfentwicklungsprogramm, durch, das den bisherigen Dorfbau ablösen soll.

Es ist inzwischen dunkel und sehr kalt und für die neuen MitarbeiterInnen gibt es weder Betten noch Decken. Wir sind froh, dass wir nach der Besichtigung des Gesundheitszentrums weiterreisen können und hoffen, dass der Anfang für die Neuen dort nicht zu hart sein wird.

Kurz darauf erreichen wir das Ausbildungszentrum Bayakumutia. Hier werden derzeit 25 Mädchen im Alter von 14-17 Jahren im Nähen ausgebildet, sowie lebenspraktische Fertigkeiten wie Gartenbau und Hauswirtschaft vermittelt. Nach dem Abendessen gibt es im Schlaf- und Aufenthaltsraum einen gemeinsamen Abend mit vielen Tanz-, Gesangs- und Zirkusvorführungen. Auch wir beteiligen uns mit Liedern und Spielen. Dies ist ein schöner Abschluss eines beeindruckenden Tages. Wir übernachten im Zentrum.

Der nächste Tag (27.12.2012)beginnt um 6:30 Uhr im Morgenkreis mit den Mädchen und den Mitarbeitern. In Gruppen aufgeteilt beginnt für die Mädchen anschließend die Arbeit in Garten, Küche oder beim Putzen, was uns sehr beeindruckt. Unsere Gedanken gehen auch hin und wieder an unsere jugendlichen Kinder zuhause. Hier diese einfache und befriedigende Arbeit dieser jungen Menschen zu erleben und das Glück, das sie ausstrahlen, steht in großen Gegensatz zu der Lebensweise unserer jungen Leute in Deutschland. Die Leiterin Amita und Mr. Sethy führen uns durch das Zentrum mit großem Garten, Schul-, Arbeits- und Wohngebäuden. Nach dem Frühstück und dem Besuch des Unterrichts werden wir verabschiedet. Es war schön, dass wir uns etwas länger in diesem Zentren aufhalten und das Leben dort etwas näher kennenlernen konnten.


Auf dem Weg zurück nach Bhubaneswar kommen wir zur Mittagszeit in Ashapuri im Old-Age-Zentrum an, das wir bereits beim Neighborhoodfestival kennengelernt haben.
Erschöpft von der Fahrt ruhen wir uns ein wenig aus, bevor wir nach dem Mittagessen den Garten und die Einrichtungen des Zentrums besichtigen. Auch hier gibt es ein örtliches Gesundheitszentrum, das von den Bewohnern der umliegenden Dörfer in Anspruch genommen wird. Etwa 20% der dokumentierten Krankheitsfälle betreffen Malaria.
Anschließend ist ein gemeinsames Treffen mit den alten Menschen. Sehr beeindruckt sind wir von deren Tänze und Gesänge. Nachdem auch wir noch ein Lied beigetragen haben, verabschieden wir uns.

Wir fahren in das nur zwei Kilometer entfernte Ausbildungszentrum Ashapuri. Hier leben derzeit 25 Mädchen im Alter von 14-17 Jahren und werden im Nähen, Sticken und anderen Handarbeiten und im Umgang mit Computersoftware ausgebildet. Der Nähschulraum dient für die Männer unserer Gruppe für die Nacht als Schlafraum Die Mädchen stellen uns freundlicherweise vier ihrer Betten zur Verfügung. Für die Frauen gibt es ein kleines Gästehaus. Wir erfahren, dass es hinter dem Zentrum einen großen Fluss gibt, der bei Hochwasser sehr viel Wasser führen kann. Für die geplante Uferbefestigung muss das Zentrum Gelände abgeben. Abends gibt es im Aufenthaltsraum wieder ein Kulturprogramm.
Es ist sehr kalt und wir frieren trotz warmer Kleidung aber die Mädchen sind barfuß und die Kälte scheint ihnen nichts auszumachen. Es gibt wieder tolle Vorführungen mit Tanz, Gesang und Theater.

Am nächsten Morgen (28.12.2012)beginnt der Tag um 6:45 Uhr ebenfalls mit einem Morgenkreis. Anschließend werden auch hier Gruppen gebildet und Arbeiten verteilt. Wir besichtigen das Zentrum mit den verschiedenen Gebäuden und dem großen Garten.
Nach dem Frühstück besuchen wir den Näh- und den Computerunterricht. Die Mädchen erlernen hier den Umgang mit Windows und MS-Office und schließen den Lehrgang mit einem anerkannten Zertifikat ab.Nach dem Frühstück fahren wir weiter.


Nach zwei Stunden Fahrt erreichen wir das Dorf Gengutia, im dem 2006 und 2009 mit Hilfe der VRO 20 Doppelhäuser für die mittlerweile auf 73 Familien angewachsene Dorfgemeinschaft neben dem alten Dorf errichtet wurden. Die Familien gehören dem Stamm der Mundas an. Der Grund und Boden des alten Dorfes gehört zu einem Tempel. Die Bewohner waren bisher hier geduldet. Die Baugrundstücke für die neuen Häuser sind meist das erste Eigentum der Familien. Hier ist geplant, dass Studenten der EWB aus Karlsruhe mit einem neuen Projekt die Wasserversorgung und die Sanitäreinrichtungen verbessern sollen. Wir sind gefragt worden, hierfür eine Bestandsaufnahme zu machen.
Etwa 50 BewohnerInnen des Dorfes erwarten und begrüßen uns. Nachdem wir unser Anliegen vorgetragen haben, besichtigen wir in Gruppen zusammen mit den Dorfbewohnern die Häuser.
Ein großer Teil der Häuser scheint nicht bewohnt zu sein, die anderen werden als Lager oder Stall genutzt. Die Flachdächer sind undicht und die Böden nicht befestigt. Die meisten Bewohner des Dorfes wohnen deshalb noch in ihren ursprünglichen Lehmhäusern. Allen gemeinsam ist der Wunsch nach Abdichtung der Decken und Befestigung der Böden. Wir sind verunsichert und es stellen sich für uns viele Fragen nach den Gründen für diesen Zustand und die Nutzung der Häuser. Außer bei der Schule gibt es wie in den meisten Dörfern Indiens keine Toiletten und für die allgemeine Wasserversorgung fünf Handpumpen. Der Dorfhäuptling im Dorf macht einen sehr passiven Eindruck.

Anschließend fahren wir weiter und erreichen nach einer Stunde Chandikhole, ein großes Zentrum und die Zentrale der VRO von Nordodisha.
Das Büro von Mr. Rout befindet sich hier und hier finden auch die monatlichen Treffen der Leitungen der Zentren aus Nordodisha statt. Das Zentrum liegt inzwischen an einer sehr großen Durchgangsstraße und es steht schon fest, dass für den weiteren Ausbau der Straßen Gelände abgegeben werden muss. Die vielen Gebäude haben ihre Blütezeit schon weit hinter sich und es gibt nur noch tagsüber eine Nähschule.


Nach dem späten Mittagessen fahren wir weiter in das nahegelegene Dorf Nanpur. Neben dem Dorf wurde hier eine Grundschule errichtet, da die Entfernung zur staatlichen Schule für die hier wohnenden Tribals zu groß ist. Daneben befindet sich eine Nähschule, in der nachmittags Mädchen aus den umliegenden Dörfern unterrichtet werden.
Die Lehrerinnen unterrichten vormittags in der Grundschule und nachmittags in der Nähschule. Der enge Kontakt zwischen den umliegenden Dörfern, der Grundschule und der Nähschule hat uns gut gefallen. Am späten Abend sind wir wieder zurück in Bhubaneswar.



Die folgenden zwei Tage erholen wir uns von den anstrengenden Besuchsreise und
machen Sightseeing in Bhubaneswar.

Am 29.12.2012 besichtigen wir drei Tempel und am 30.12.2012 ein sehr sehenswertes und informatives Tribal-Museum. Nachmittags ist ein gemeinsamer Erfahrungsaustausch im VRO-Office mit der zweiten Besuchsgruppe vom Sonnenhaus Beuron, die zur gleichen Zeit Zentren in Südodisha besucht hat. Unsere gemeinsame Einschätzung ist, dass die Arbeit vor Ort in den Zentren stark von den jeweiligen Leitungspersonen abhängt. Von den Arbeit und dem Leben in den Zentren waren wir sehr angetan, das neue Clusterkonzept gefällt uns gut. Die Arbeit und das Engagement von Mr. Sethy beeindrucken uns sehr.



Am 31.12.2012 ist um 3 Uhr morgens Aufbruch zum Bahnhof, um den Zug um 5:30 Uhr nach Guntur zu erreichen. Nach sechzehnstündiger Fahrzeit kommen wir mit Verspätung in Guntur an und werden von Mr. Chennaiah, dem Regionalkoordinator der VRO Guntur im Bundesstaat Andrah Pradesh, am Bahnhof abgeholt. Nach einem kurzen Abendessen fahren wir zu unserer Unterkunft in einer Ausbildungsstätte der Jesuiten. Unsere Zimmer sind einfach, aber wir sind froh, ein Bett zu haben.

Am Neujahrstag besuchen wir Mr. Mukkanti, einen ehemaligen VRO-Schüler und Mitarbeiter, der inzwischen in Perecherla ein eigenes Zentrum für Schreinerei und Nähen mit Unterstützung des Schweizerisch-Deutschen Gandhi Clubs (Ghandicare Hilfswerk) aufgebaut hat. Dort treffen wir uns mit Pater Santiago, dem Leiter der VRO Indien zum intensiven Austausch über die derzeitige Situation und die neuen Konzepte der VRO (u.a. Clusterkonzept, Anstellung und Bezahlung der Volunteers).

 

 

Am 2.1.2013 fahren wir nach einem kurzen Besuch im VRO-Headoffice und einem Morgenkreis in das Dorf Pragnam. Es ist deutlich zu spüren, dass es dort einen guten Kontakt zur VRO gibt. Die Bewohner zeigen uns stolz ihre Häuser und führen uns gerne durch das Dorf. Sie zeigen uns ihre Rattenfallen, mit denen sie neben der Feldarbeit ihren Unterhalt verdienen. Nach dem Mittagessen in der Dorfschule der VRO versammeln sich die Dorfbewohner und wir verabschieden uns in einer sehr schönen Atmosphäre.

Anschließend besichtigen wir noch das in der Nähe gelegene VRO-Dorf Jangamlanka. Hier sind alle Häuser noch im Bau, obwohl der Hausbau vor drei Jahren begonnen wurde. Die Arbeit kommt nur sehr langsam voran, was daran liegt, dass hier zum ersten Mal Regierungsmittel für den Hausbau mit verwendet werden. Die VRO streckt das Geld vor und je nach Baufortschritt erhalten die Dorfbewohner Zuschüsse von der Regierung. Eine Gruppe Jugendlicher aus dem Dorf hat zwischenzeitlich das Verputzen von Häusern gelernt und macht die Arbeit wesentlich preisgünstiger als die lokalen Handwerker. So hat die Verzögerung auch seine gute Seite, zudem sind die Dorfleute wesentlich stärker in der Verantwortung. Wir werden wiederum von allen herzlich begrüßt und gerne im alten Dorf herumgeführt. Die Bewohner haben sogar einen Tempel und eine kleine Kirche errichtet.
Insgesamt ist die Atmosphäre sehr freundlich und schön. Wir sind froh, an diesem Tag zwei so positive Dorfbeispiele zu erleben.



Am 3.1.2013 treffen wir uns mit den beiden Direktoren der VRO, Pater Peter-Daniel SJ und Pater Santiago SJ zu einem langen Austausch über die künftige Strategie und Arbeit der VRO Indien. Anschließend fahren wir nochmals nach Perecherla. Dort besichtigen wir zuerst Mr. Mukkantis Nähschule, die tagsüber von Frauen aus den umliegenden Dörfern besucht wird. Anschließend besichtigen wir die Schreinerwerkstatt von Mr. Mukkanti.
Die Jungen wohnen im Gebäude und erlernen innerhalb von zwei Jahren das Schreinerhandwerk. Nach einem Jahr erhält jeder Trainee einen vollständigen eigenen Werkzeugkoffer und arbeitet damit im zweiten Jahr. Nach Abschluss der Ausbildung können sie so selbständig und vor Ort damit arbeiten. Insgesamt überzeugt uns das Konzept und die Einrichtung sehr, allerdings wird hier auch einiges investiert und die Geldgeber scheinen großen Einfluß auf die Arbeit vor Ort zu nehmen.

Am Nachmittag fahren wir in das VRO-Zentrum in Perecherla. Das Gelände ist sehr groß mit vielen Gebäuden und Werkstätten, allerdings ist hier nur noch die Tamilschule, deren Unterhalt von VRO Deutschland finanziert ist und das Altenwohnheim in Betrieb.
Tagsüber werden hier tamilische Kinder unterrichtet, deren Eltern in den nahegelegenen Steinbrüchen arbeiten. Wir besuchen den Klassenraum und erhalten dort sehr beeindruckende Vorführungen der Kinder zwischen 6 und 12 Jahren. Diese sind choreografisch prima und es werden alle Kinder in altersgemischten Gruppen mit einbezogen.
Der Besuch im nahegelegenen Altenzentrum fällt relativ kurz aus, da die meisten BewohnerInnen unterwegs sind, um ihre wöchentliche Rentenzahlung abzuholen.



Am 4.1.2013 fahren wir nochmals in das VRO Headoffice. Dort findet an diesem Tag ein Treffen der Regionalkoordinatoren aus drei Bundesstaaten statt, die wir bei dieser Gelegenheit kennenlernen. Es gibt eine große Morgenrunde, anschließend besichtigen wir die Räume des Headoffice. Wir verabschieden uns von allen und machen uns auf die Fahrt nach Hyderabad.
Die Verbindungsstraße von Guntur nach Hyderabad war eines der ursprünglichen Aktionsgebiete der VRO. Entlang dieser Straße sind sehr viele VRO-Dörfer und Ausbildungszentren gebaut worden.

Als erstes besichtigen wir ca. eine Autostunde von Guntur entfernt das Ausbildungszentrum Rajupalem. Dort und im benachbartem Kinderdorf Rajupalem wohnen derzeit 53 Mädchen und 31 Jungen. Sie besuchen vormittags die staatliche Schule, so dass außer dem Personal bei unserem Besuch niemand anwesend ist. Der frühere Schulunterricht durch die VRO ist hier nicht mehr nötig. Das Gelände ist sehr groß mit vielen Gebäuden, aber im von uns besichtigten Teil des Ausbildungszentrums macht alles einen „in die Jahre gekommenen“ Eindruck. Die Toiletten sind in schlechtem Zustand und der Computerraum ist total veraltet. Dies bestätigt, dass sich die VRO an vielen Stellen und in verschiedenen Programmen den neuen Gegebenheiten anpassen und ihre Konzeption neu überdenken muss.

Die Fahrt nach Hyderabad zieht sich lange hin, wir fahren immer wieder an VRO-Dörfern vorbei. Bei KM92 und KM52 vor Hyderabad besuchen wir jeweils ein Ausbildungszentrum, in denen Mädchen der umliegenden Dörfer wohnen und mit den Inhalten von Dorfentwicklung vertraut gemacht werden sowie eine Schneiderausbildung erhalten.

Am späten Abend erreichen wir das Jesuitenzentrum Sathyodayam in Hyderabad.

In Hyderabad endet dann unsere gemeinsame VRO Reise. Die vergangenen 14 Tage waren für uns eine sehr intensive, erlebnisreiche aber auch anstrengende Zeit. Wir sind sehr dankbar und erfüllt von den vielen schönen Begegnungen, der Gastfreundschaft, der Offenheit und der Atmosphäre in den Zentren und Dörfern. Wir waren das erste Mal in Indien und haben uns sehr wohl gefühlt. Wir konnten einen kleinen Teil der Arbeit der VOR Indien kennenlernen und haben in vielen offenen Gesprächen mit den Verantwortlichen den Willen gespürt, den Geist der VRO lebendig zu erhalten und gleichzeitig die Bereitschaft und den Mut ,neue Wege zu gehen und das Bestehende weiterzuentwickeln. Wir wünschen allen, dass der neu eingeschlagene Weg neue Möglichkeiten bietet und die gesteckten Ziele mit allen Bemühungen weiterhin den Menschen in den Dörfern und Zentren zu Gute kommen. Wir freuen uns auf eine weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der VRO Indien und auf ein Wiedersehen in Europa oder Indien.

Maria und Thomas Willmann


 

 

Bericht  III Gloria und Leoni
22.02.- 22.03.2012
Circusgeist im tiefsten Dschungel


Es hocken Frauen in abgewetzten Saris da, mit ihren Babys im Arm, und den verwunderten Blick starr und konzentriert nach vorne gerichtet.
Alte, ausgemergelte Männer in ihren Lungis, mit gegerbten Gesichtern, blicken fast ein wenig skeptisch, aber doch angezogen auf das Spektakel. Jugendliche rufen und klatschen, während die Kinder völlig versteinert dastehen, wohl ob der Fremdartigkeit des Geschehens.
Immer mehr Menschen strömen durch die Pforten des VRO-Ausbildungszentrums “Bayakumutia” auf den großen, strahlenden Platz  zu, der mit unzähligen, im Wind wehenden, bunten Schals geschmückt ist und in dessen Mitte sich eine provisorische Bühne sowie ein zwischen zwei Bäumen gespanntes Seil befindet.
Hier fliegen Keulen, Bälle und Diabolos durch die Luft, werden Menschenpyramiden gebildet, Räder geschlagen, und dynamische Akrobatikelemente gehen fließend in rhythmische, indische Tanzschritte über.      
Das Ganze wird begleitet von lauter, mitreissender Trommelmusik, von Händen, die blitzschnell über Tablas, die am Bühnenrand aufgebaut sind, fliegen.
Wir sind überwaltigt von der riesigen Zuschauermenge, bestimmt über 200 Menschen, die aus den umliegenden Dörfern erschienen sind, und noch unzählige, die am Wegrand stehen bleiben, von der Musik und dem Geschehen angezogen.
Erst seit 16 Tagen hat der Circus dieses abgelegene Dschungelgebiet im Norden Odishas erfasst und trotzdem bringt die neue Circusgruppe, bestehend aus 30 Bayakumutia-Trainees, ein vollständiges Programm auf die Bühne. Die letzten zwei Wochen haben wir von morgens bis abends mit den Mädchen trainiert, überlegt und eingeübt und sind mal wieder sehr erstaunt über die unglaubliche Lernbereitschaft und das schnelle Auffassen, trotz größter Kommunikationsschwierigkeiten.
Diese rührten hauptsächlich daher, dass wir der erste europäische Besuch für eine längere Zeit in Bayakumutia sind und die Mädchen uns zu Beginn eine extreme Schüchternheit, ja fast Ängstlichkeit entgegenbrachten, die nur sehr mühselig zu lösen war. Dies war auch der Grund, warum wir uns für dieses Zentrum und nicht für das vielbesuchte “Ashapuri”  entschieden.
Umso stärker spürten wir die nach und nach wachsende Vertrautheit, die während unserer gemeinsamen Arbeit und des Zusammenlebens entstand. Circus in seiner Lebendigkeit und Vielfältigkeit ist ein sehr effizientes Mittel, um solche Spannungen zu lösen.
In Bayakumtuia funktioniert das Training für die Mädchen nochmal ganz anders als in Rajulaloya. Hier durchlaufen alle 30 Trainees innerhalb von zwei Jahren gruppenweise den Unterricht im Nähen, Handarbeit und Allgemeinbildung verbunden mit Gesundheitswesen. Seit Neuestem besuchen die Mädchen einmal wöchentlich den Englischunterricht einer staatlichen Schule.
Doch nicht nur diese Fähigkeiten werden in Bayakumutia erlernt. Das Zentrum besteht aus fünf riesigen Gemüse-und Kräutergärtenanlagen sowie einigen Obstbäumen, alles in bestem Zustand. Durch Kooperation mit Bauern aus umliegenden Dörfern sammeln die Mitarbeiter des Zentrums Erfahrungen in Gemüseanbau und Feldarbeit, die sie an die Trainees weitergeben. Über zwei Stunden wird jeden Tag in den hauseigenen Gärten gearbeitet, und das Zentrum kann sich fast vollständig selbst versorgen.

Das sehr junge und stark motivierte Mitarbeiterteam legt großen Wert auf ganzheitliche Arbeit, die den Mädchen alle Aspekte der Dorfarbeit nahe bringt. Jeden Abend findet zudem eine “cultural lesson” statt, in der Tänze und Lieder erlernt werden, seit Neuestem ist hier auch der Circus eingebunden.
Wir waren hocherfreut, wie sehr die Circusarbeit an allen Stellen in den Alltag aufgenommen wurde und wie gut die Kooperation mit den Mitarbeitern funktionierte, sodass die kurze Campzeit extrem effizient war.
Von Anfang an legten wir großen Wert darauf, die Lehrer des Zentrums in unsere Arbeit miteinzubeziehen, und erarbeiteten zu Beginn des Projekts einen Plan, den wir gemeinsam gestalteten. Die Erfahrungen aus unserem ersten Circuscamp waren uns dabei natürlich eine große Hilfe.
Ähnlich wie in diesem unterteilten wir die Zeit in zwei Phasen, die Basiswoche und die spezifische Vorbereitung auf die geplanten Aufführungen, und behielten die Gruppengröße von zehn Mädchen bei.
Zudem hielten wir jeden Abend gruppenweise eine Englischstunde  ab, die sich auf “Circusvokabular” sowie den theoretischen  Aufbau einer Circusstunde konzentrierte, und der jeweils ein Mitarbeiter beiwohnte.
Um alles Gelernte zu verfestigen und die Trainees zu eigenen Ideen anzuregen, führten wir zwei Reflexionsabende über das Camp, nach der Basiswoche und nochmal ganz am Ende der Campzeit, ein.
Wir waren sehr überrascht über die Offenheit der Mädchen, die ihre Schwierigkeiten und Blockaden aufgrund der Sprachprobleme schilderten und den starken Wunsch äußerten, richtig mit uns kommunizieren zu können. Das hat uns nochmal bewusst gemacht, wie wichtig ein langsames, genaues und geduldiges Vorgehen ist.
Ein besonderes Erlebnis war auch ein Nachmittag, den wir in einem nahegelegenen VRO- Kindergarten in dem Dorf “Kotarapalli” verbrachten und an welchem die Trainees ihre neu gelernten Fähigkeiten im Circusbereich  an die Kinder weitergaben, um so als Trainer zu fungieren, während wir nur von Außen beobachteten.
Wir wollten die Trainees so weit wie möglich zu selbstständiger Arbeit und eigener Kreativität anregen, damit die “circus skill” auch nach unserem Weggang noch weiterbestehen kann und sich entwickelt.
Dies wurde auch sehr gut aufgenommen, und als es auf die Vorführungen zuging, übten die Mädchen fast in jeder freien Minute in ihren Nummernbereichen und wir hatten das Gefühl, dass jede Einzelne etwas für sich in dem großen Circusrepertoire entdeckt hat.
Wieder haben wir in einer Nummer akrobatische Elemente mit indischen Tanzschritten verbunden, diesmal in Zusammenarbeit mit einer der Lehrerinnen, die den Mädchen sonst auch die Tänze beibringt.
In der Vorbereitungsphase für die Auftritte wurde es dann zeitlich doch etwas eng und die Trainees verstanden schwerlich, was es bedeutet, Abfolgen einzustudieren, zudem spürten wir bei manchen eine große Schüchternheit, sich selbst vor Publikum zu präsentieren. So mussten wir uns immer wieder  auf unsere Geduld besinnen, unsere Ansprüche etwas senken und haben dafür noch ein wenig Zeit auf Übungen für Bühnenpräsenz und Selbstbewusstsein verwendet.
Aber dennoch: Als es dann schließlich soweit war und der erste Auftritt in Kotarapalli stattfand, erlebten wir von Neuem das kleine Wunder, dass die gerademal neugeborene Circusgruppe ganz selbstständig ein volles, lebendiges Programm  zeigte und die Zuschauer begeisterte.

Die Dorfbewohner, denen wir das Programm präsentierten, sind Adivasi (Ureinwohner Indiens, auch “Tribals”), sowie auch die Mädchen des Zentrums, die in den Bergen Odishas außer Sichtweite der Zivilisation unter extrem einfachen Verhältnissen und abgeschottet von aller infrastruktureller Versorgung leben.
Ein Unterhaltungsprogramm wie dieser Circusauftritt muss für die Menschen eine große Besonderheit sein, und ihm wurde mit schweigendem, konzentriertem Staunen beigewohnt.
Die zweite Aufführung fand im Zentrum selbst statt, und so hatten wir die Gelegenheit, das ganze Gelände von oben bis unten aufzuräumen und zu dekorieren – Vorbereitungen, die das Geschehen nochmal zu etwas ganz Besonderem machten, um den eingeladenen Bewohnern aus den umliegenden Dörfern ein strahlendes Zentrum zu präsentieren.
Die Circusgruppe legte ob der ungeheuren Größe der Zuschauermenge nochmal einen Zahn zu und war schließlich auch sehr zufrieden mit sich selbst , sodass wir unter uns das Circuscamp an diesem Abend noch sehr feierlich ausklingen ließen.
Die Trainees äußerten, wie intensiv sie die Campzeit erlebten und versicherten uns euphorisch, dass sie den Circus nun in ihren Dörfern und überhaupt in ganz Indien verbreiten  wollen.
Eher wahrscheinlich ist aber, dass die Circusarbeit und ihr Geist in Bayakumutia weiterleben werden. Dafür haben wir ein Circusbuch mit allen gelernten und auch neuen Übungen und Abfolgen sowie Bildern und Fotos angefertigt und dieses zusammen mit den Materialien an drei “Circusverantwortliche” der Trainees übergeben.
Im Nachhin einerscheint es uns unglaublich, wie gut wir unsere Pläne umsetzen, Neues miteinbeziehen und im Zentrum mitleben konnten. Denn hier schien unsere Mithilfe herzlich willkommen und von Anfang an konnten wir unseren Beitrag zum Zentrumsleben leisten und uns ganzheitlich einbringen. Wir sind sehr dankbar um diese spezielle Erfahrung mitten im indischen Dschungel, und sie hat uns nochmal Motivation für weitere VRO-Arbeit gegeben und lässt uns jetzt wehmütig auf unsere Zeit dort zurückblicken.
Ähnlich positiv erlebten wir auch alle anderen Ausbildungszentren in Nord- und Südodisha, die wir für ein paar Stunden besuchten und wo wir in fast jedem ein neues, orangefarben- strahlendes Hostelgebäude bewundern konnten, sowie in dem Boys-BPTC “Gonasika” die neu eingeweihte Solaranlage, die symbolhaft für die neu gewonnene Dynamik in der VRO-Arbeit dieser Region zu stehen scheint.
In unseren Dorfbesuchen allerdings wurde uns auch nochmal die grßse Armut, die hier herrscht, bewusst, doch vielleicht ist die Motivation für Entwicklung gerade deswegen so groß.

Die letzten zwei Wochen unserer Reise sind wir nun noch “privat” unterwegs und besuchen die Familie eines ehemaligen VRO-Volunteers in Perecherla (nahe Guntur), der jetzt seine eigene NGO gegründet hat.
Von hier aus besuchen wir tagsüber weitere VRO-Programme der Umgebung, wie “Rajupalem” und die Tamilenschule Perecherla (nachzulesen auf der Internetseite der VRO-Deutschland), um hier noch mit den Kindern einige Circusvormittage (soweit es die mittlerweile extremen Temperaturen zulassen) und Englischstunden zu gestalten.
Dabei fällt uns immer wieder auf, wie speziell und einzigartig die VRO-Arbeit ist, im Vergleich mit anderen indischen NGOs, die wir besichtigen konnten (natürlich in unseren Augen und soweit wir das beurteilen können).
Das Ganzheitliche, Familiäre und Einfache sowie die Spiritualität, die der VRO-Philosophie innewohnen und, wie wir merken, auch noch sehr lebendig sind, ist etwas Besonderes und vermittelt uns an jedem “VRO-Platz” das Gefühl einer kleinen Oase.
Jetzt, da unsere Indienzeit dem Ende zugeht, sind wir überrascht, wie anders sich all unsere vorherigen Pläne entwickelt und gestaltet haben und wie ein ganz anderes Projekt als das erwartete daraus entstanden ist, jedoch zum Teil viel reicher und voller als wir es uns hätten vorstellen können.
Die indische Flexibilität und Spontanität hat uns so einiges gelehrt und auch sonst haben wir das Gefühl, mit viel mehr Gepäck zurückzukehren. Darunter eine Unmenge an indischen Bewegungen und Tanzschritten, Kochkünsten, Wissen über Fremdartiges und uns selbst, Gelassenheit, einfachen Lebensweisen, Bildern, Farben und vor allem VRO-Spirit.
Aber davon mehr, wenn wir wieder im Lande sind und alles mündlich sowie bildlich übermitteln können (wenn es denn Interesse gibt).
Wir freuen uns schon wieder auf Frühlingstemperaturen und auch ein bisschen auf langweilige Normalität ;).
Machts gut, bis dahin, Leoni

 

 

Bericht II  Gloria und Leoni
29.01. – 21.02.2012


“I’m very too much happy!”  Nicht nur die Mädchen aus Rajulaloya fühlen sich so, während wir nach dem Auftritt zu zwanzigst in einen Kleinbus gezwängt dem Sonnenuntergang auf einer indischen Landstrasse entgegenholpern. Die energiegeladene Stimmung, die die strahlenden Gesichter und lauthals singenden Stimmen versprühen, ist ansteckend; euphorisch wird uns bewusst, welche Früchte unsere Arbeit getragen hat.

Nachdem wir uns ein Wochenende lang von der Zeit des Health Camps ausgeruht hatten, konnten wir am 30. Januar mit neuer Energie und Motivation das Circustraining mit den 30 Mädchen des Zentrums, so wie wir es ursprünglich geplant hatten, beginnen.
In drei Gruppen mit je zehn Trainees sollten wieder zwei Trainingseinheiten proTag stattfinden, so dass wirklich intensiv geübt werden konnte. Da in dieser Woche aber plötzlich ein Abschlussexamen der Nurserygirls in Hyderabad zu schreiben war, wovon vorher nie die Rede war, gerieten unsere Pläne etwas durcheinander. An drei Tagen trainierten wir also nur mit den Schneiderinnen. Der Vorteil daran war, dass die Näherinnen in dieser Zeit das aufholen konnten, was die anderen Mädchen schon während der Campzeit gelernt hatten, und dass letztendlich nach einem anscheinend gelungenen Examen alle auf gleichem Stand waren.
In dieser Woche unterrichteten wir alle Disziplinen, d.h. Diabolo, Balljonglage, Seillaufen und -springen, Akrobatik und Keulenjonglage, wobei wir darauf achteten, auch vieles zu wiederholen, um die zum Teil kaum vorhandene Geduld etwas zu schulen. Auch einen Tanz mit von den Mädchen vorgeschlagenen Schritten übten alle zusammen ein. Schon ab der ersten Trainingsstunde waren wir begeistert, was für eine konzentrierte Atmosphäre im Vergleich zu den Campgruppen herrschte, und endlich hatte man wirklich Zeit, sich Einzelnen zu widmen. Vor allem seit bekannt war, dass wir auf richtige Aufführungen hinarbeiten, steigerte sich die Motivation der Jugendlichen täglich und auch der Spaßfaktor wuchs – ebenfalls für uns.
Ab dem 6. Februar konnten die Mädchen sich aussuchen, welche Disziplinen ihnen am besten gefallen, und wir begannen, uns in diesen Gruppen gezielt auf die Auftritte vorzubereiten. Dazu führten wir pro Tag vier verschiedene Trainingseinheiten von je einer Stunde durch.
Mit der Zeit hat sich in dieser lebhaften Gruppe etwas Richtiges entwickelt, eine Art Circusgeist. Es kam tatsächlich so weit, dass wir nicht jedes Mal von neuem eine Viertelstunde das Gelände nach scheinbar verloren gegangenen Trainees absuchen mussten, sondern dass Einzelne begannen, auch mit Verantwortung zu übernehmen. Ich hatte das Gefühl, dass diese unser Konzept, unsere Ideen und Pläne verstehen, obwohl wir sie ihnen aufgrund der Sprachprobleme nie wirklich übermitteln konnten. Zu Beginn kam es uns manchmal so vor, als ob wir eine Herde antrieben, die entweder nicht wirklich will oder nicht weiß, warum sie dies oder jenes gerade tut. Nach einer Weile konnten wir dagegen mit ansehen, wie das eine oder andere Mädchen andere motivierte und ihnen erklärte, was sie zu tun hatten. Es wurde von manchen verstanden, dass das gerade Geübte eine feste Abfolge für die Aufführungen ist und ständig wiederholt werden muss, damit es sich in allen Köpfen festigt und wirklich beherrscht wird.
Genauso waren wir überrascht, wie manche Mädchen anfingen, Eigeninitiative zu ergreifen und richtige Beiträge und kreative Ideen für die Vorführungen brachten, und uns damit ein wenig Anstrengungen abnahmen.
Ausnahmslos spaßig war das Training aber nicht immer; besonders als es auf die Auftritte zuging, wurden wir angespannter und hatten manchmal Mühe, nicht die Ruhe und Geduld zu verlieren, wenn jeden Tag zwei bis drei Mädchen irgendwelche
“stomach-” oder “leg pains” hatten. Wir haben uns teilweise auch gefragt, ob wir zu hohe Erwartungen stellen und die Jugendlichen vielleicht überfordern. Aber von den Erfolgen und der Energie Einzelner motiviert haben wir doch alles so durchgezogen, wie wir es uns vorgestellt hatten – und sind im Nachhinein froh darüber.
Am 13. und 14. Februar hielten wir je eine Generalprobe ab, deren Ziel es war, einmal alle Nummern nacheinander und mit Musik durchzuspielen, so dass sie eine Vorstellung für das komplette Programm bekamen. Am einen Tag kaum Licht, am nächsten wegen nicht vorhandenen Stroms keine Musik – irgendwie haben wir es trotzdem einigermaßen gut und konzentriert durchziehen können. Wir zwei haben uns, glaube ich, mit der Zeit an die indische Spontanität gewöhnt und uns gesagt, dass das mit einem bisschen Improvisation schon alles irgendwie klappen würde.
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages fuhr die aufgedrehte Circusgruppe 40 km weit, um in einem anderen Mädchen-Näh-Zentrum (“92 km”) das Programm zu präsentieren. Am Rande des Zentrums liegen zwei VRO-Dörfer, deren Bewohner zuvor informiert wurden, dass an diesem Tag ein Auftritt stattfindet. So bestand das Publikum aus den Zentrumsbewohnerinnen und einigen Dorfleuten, die alle großes Interesse für die Aufführung zeigten. Trotz Tonproblemen ließen sich “unsere” Mädchen nicht beirren und zeigten ohne unsere Hilfe ein einstündiges, wirklich unterhaltsames Circusprogramm.
“Circus bagundi” (=schön bzw. toll), lobte sie danach ein Dorfkind, und wir alle waren begeistert und stolz, was die Trainees zustande gebracht hatten.
Am nächsten Tag gab es noch eine Steigerung, denn der 2. und letzte Auftritt im Kinderzentrum “66 km” fand abends mit Beleuchtung und funktionierender Musikanlage statt und wurde von einem professionellen Kameramann gefilmt. Die bereits erfahrenen Circusperformerinnen gaben nochmal zwei Stufen mehr, was sich im Applaus der Zuschauer aus dem Zentrum und dem nahegelegenem Dorf widerspiegelte.
An diesem Abend fielen Leoni und ich ziemlich kaputt, aber total erleichtert und wirklich zufrieden mit den Mädchen (und auch uns) ins Bett. Uns wurde noch einmal bewusst, wie viel Potenzial in ihnen steckt und was für eine gut funktionierende und energiegeladene Gruppe sie sind. Am Samstag haben wir und das Zentrum die entwickelten DVDs erhalten und sogar in der Regionszeitung war ein Artikel mit Bild zu lesen.
Mit diesem Erfolg für alle Beteiligten konnten wir den letzten Tag im Zentrum “52 km” noch ohne Stress und Proben gemeinsam genießen und am 18. Februar nach einem intensiven Tanzabend mit einem guten Gefühl, wenn auch ein bisschen wehmütig, unser zweites Zuhause verlassen.


Inzwischen befinden wir uns auf dem Campus St. Xavier in Darsi, nicht weit von Guntur, wo Pater Peter Daniel, der Direktor der VRO, eine Schule und ein College mit Hostel errichtet hat. Wir sind auf seinen Vorschlag hin für drei Tage zu Besuch hier, um auch mal einen Einblick in eine andere Organisation zu erhalten und somit einen Vergleich zur VRO ziehen zu können. Von diesen Jesuiteneinrichtungen gibt es hier in der Gegend mehrere, wir hatten auch die Möglichkeit, zusammen mit dem Pater eine zweite zu besichtigen.
Auf diesem Gelände hier gibt es etwa 600 Schülerinnen und Schüler von der 1. Klasse bis zum 2. Collegejahr (entspricht der 12. Klasse), von denen die meisten im Hostel leben, die anderen kommen jeden Tag aus den umliegenden Dörfern angefahren. Wir sind komfortabel im Schwesternhaus untergebracht und erleben eine ganz andere Stimmung als in den VRO-Zentren, zum Teil aufgrund der Größe der Anlage, aber auch weil die Erzieher/innen hier total separiert von den Kindern leben und einen ganz anderen Lebensstandart genießen. In der VRO dagegen erlebt man eine homogenere Gruppe.
 
Pater Peter Daniel hat in den 80er und 90er Jahren außerdem hier in der Umgebung Dörfer ärmerer Menschen aufgebaut und dort Schulen eingeführt. Vier solcher Dörfer haben wir in den letzten Tagen besichtigt sowie Messen in deren Kirchen besucht. Inzwischen konzentriert sich die Arbeit dort mehr auf Erziehung, denn zumTeil hilft inzwischen auch der Staat mit, wenn neue Häuser benötigt werden.

Morgen kehren wir wieder in die VRO zurück – unser Weg führt nicht wie geplant nach Rajupalem, wo die Kinder und Trainees während des Tages außerhalb unterrichtet werden, und so ein Circuscamp aus Zeitgründen dort gar nicht durchführbar wäre, sondern nach North Odisha (früher Orissa). Pater Santiago schlug das Nähzentrum für Mädchen “Ashapuri” vor, und wir freuen uns, dort für drei Wochen ein weiteres Circusprojekt abzuhalten. Denn der Bundesstaat Odisha hat für uns einen besonderen Reiz, da wir dort nochmal eine ursprünglichere und tiefer verwurzelte Kultur mit anderen Tänzen und Bewegungen erleben und mit Circuselementen verbinden können.

Zur VRO:
Während unserer Zeit in Rajulaloya fanden zwei Volunteers-Meetings statt:
Das eine in Guntur, zu dem zwei Volunteers aus “52” reisten und uns anschließend über den Inhalt berichten konnten.
Zu dem zweiten Treffen kamen Volunteers aus der Umgebung (Andhra North) in unser Zentrum und wir konnten sogar zum Teil mit dabei sein, mehr über die aktuelle Situation der VRO erfahren und ihnen unser Projekt vorstellen. Solche Treffen finden in Rajulaloya regelmäßig einmal im Monat statt. Dabei werden Berichte des vergangenen Monats aus jedem Zentrum vorgelesen, Probleme angesprochen und mögliche Veränderungen vorgeschlagen. Die Volunteers reflektieren ihre Arbeit und teilen die Information untereinander, damit alle einen Überblick über die Nachbarprojekte haben und neue Impulse aufnehmen können.
Der Field Coordinator von Guntur, Chennayah, der auch anwesend war, erklärte uns zur Dorfarbeit der VRO folgendes Konzept: Die VRO sucht versorgungsschwache Dörfer, die vom Staat weder registriert sind noch unterstützt werden und von staatlicher Bildung und von Wasser- und Stromversorgung ausgeschlossen sind, um diese über ihre Rechte aufzuklären und eine Verbindung zum Staat herzustellen. Ist dies erreicht und hat der Staat seine Aufgabe übernommen, zieht sich die VRO zurück, um auf neue Dörfer aufmerksam zu machen. Dorfbau betreibt die VRO selbst jedoch zur Zeit gar nicht mehr.

In dem Meeting in Guntur wurde hauptsächlich über Finanzielles sowie über die Arbeit und Leitlinien für die Volunteers gesprochen.
Die Finanzen werden nun in den Zentren so gehandhabt, dass mehr Transparenz nach außen vorhanden ist. Dies wird zum Beispiel möglich, indem Accountant, Field Coordinator und Site in Charge die Rechnungen zusammen schreiben und koordinieren, anstatt nur einer, so wie es vorher der Fall war.
Wir haben auch erfahren, dass die Budgets für jedes Kind von 10 auf 30 Rupien pro Tag erhöht wurden, da die Lebensmittelpreise mit der Zeit immer mehr ansteigen.
Seit vier Jahren sind die Schulen in den VRO-Zentren abgeschafft und die Kinder gehen auf staatliche Schulen außerhalb. Dort bekommen sie auch Mittagessen und ihnen wird die Ausrüstung, wie Schuluniform und Bücher, gestellt. Dadurch, dass die Regierung sich finanziell beteiligt, spart die VRO zusätzlich Budget ein.

Gloria

 

 

Indienreise Leoni und Gloria (Oversea Volunteers)
9.  1. 2012. bis 28. 1. 2012


Heiße trockene Luft, süßlich schwerer Geruch nach roter Erde und Gewürzen, laute, eindringliche Stimmen, kreischend scheppernde Musik und in jeder Sekunde und überall Bewegung. Ein riesiges Chaos von Unglaublichkeiten, die irgendwie doch alle einem undurchblickbaren System zu folgen scheinen.

Während ich das hier schreibe, versuche ich, mir Deutschlands Geradlinigkeit und stille, saubere Straßen vorzustellen. Es gelingt mir kaum.

Erstaunlich schnell hat sich der Schock ob dieser Masse an Lärm, Gedränge, Menschen und Farben in Gewohnheit verwandelt. Auch das Leben in dem VRO-Ausblidungszentrum „Rajulaloya”, in dem wir seit drei Wochen wohnen, ist Alltag geworden.

Normalerweise werden hier 20 Mädchen zu Krankenschwestern sowie 15 weitere im Nähen ausgebildet. Im Moment allerdings geht hier gerade ein einmonatiges Health Care Camp dem Ende zu. Es beinhaltet einen Austausch zwischen VRO und einer anderen NGO, „Vidyodaya Health & Educational Society”, die in ganz Andhra Pradesh sieben Colleges für Jugendliche aus ärmeren Dorfgebieten aufnimmt, unterhält. Zwei Jahre dauert dort, wie auch im VRO-Zentrum, die Ausbildung mit Abschlussexamen zur Krankenschwester bzw. -pfleger.

140 Schüler (Jungen wie Mädchen) dieser Colleges kommen schon seit zehn Jahren jährlich für ein solches Camp nach Rajulaloya. Die Idee ist es, Theorie und Praxis zu vereinen, indem die qualifizierten Lehrkräfte der Colleges hier sowohl ihre Schüler als auch die 20 Health Care Trainees des VRO-Zentrums unterrichten. Dafür können die Schüler von außerhalb mit den Trainees in den umliegenden Dörfern Patienten behandeln und Aufklärungsarbeit leisten.

Austausche dieser Art finden bislang zwar nur in diesem VRO-Zentrum statt, sollen in Zukunft aber vermehrt betrieben werden, um den Trainees eine vielseitigere Ausbildung zu ermöglichen und die VRO weiter nach außen zu öffnen.

Für uns ist es sehr spannend, diese riesige lebendige Gruppe zu erleben, mit Jugendlichen im selben Alter, aber so anderen Lebenweisen. Auch uns und unserer Lebensart wird eine riesige Neugierde entgegengebracht und so ist ein reger Austausch entstanden. Von indischen Tanzschritten bis zu Chapathis backen werden wir in die indischen Traditionen eingeführt.

Dafür haben wir mit all diesen Jugendlichen ein Circuscamp abgehalten. Wir haben die Schüler in sechs Gruppen zu 30 Teilnehmern eingeteilt und täglich morgens und abends jeweils eine Gruppe zwei Stunden in Jonglage, Akrobatik, Seilspringen und Slacklinelaufen trainiert. Zudem haben wir jeweils eine Englischstunde durchgeführt, um die wichtigsten Begriffe verständlich machen zu können. Denn obwohl die Schueler täglich Englischunterricht erhalten,  beschränkt sich ihr Wortschatz meist auf drei bis vier Sätze und die Kommunikation gestaltet sich als extrem schwierig. Insgesamt erscheint für uns der krasse Frontalunterricht, der hier abgehalten wird, etwas fragwürdig. Zudem wird Disziplin nur durch extreme Autorität erreicht.

Da wir in unseren Trainingsstunden ohne diese Art von Autorität arbeiten, ist eine wirklich konzentrierte Stimmung leider fast unmöglich zu erreichen. Zeiten spielen kaum eine Rolle, jeder erscheint, wenn er eben gerade mit der vorigen Tätigkeit fertig ist. Bei jeder kleinen Ablenkung müssen wir die Gruppe neu zusammen sammeln, Ruhe zum genauen Erklären finden wir nie.

Haben wir eine Übung oder eine Figur gezeigt, wird sofort die nächste verlangt, ohne dass die erste wirklich erlernt wurde. Nur wenige üben eine Sache, bis sie wirklich beherrscht wird. Zum einen liegt das an der Größe der Gruppe sowie an den Kommunikationschwierigkeiten, ich denke aber, dass diese Spontanität stark in der indischen Mentalität verankert ist. Ohne große Rücksicht auf den eigenen Körper achten viele kaum auf Erklärungen und Hinweise und stapeln sich krumm und schief zu zwanzigst übereinander, ohne dass wir eingreifen können. Der Sinn von Basiselementen und Vorübungen wird kaum begriffen.

Während des Trainings ist uns stark aufgefallen, dass den Jungen Verständnis und Umsetzung um einiges leichter als den Mädchen fällt, man spürt, dass sie ein viel größeres Selbstbewusstsein besitzen und sich zum Teil sehr in den Vordergrund spielen. Von den Mädchen wird das ohne weiteres akzeptiert.

Dagegen sind wir ueberwältigt von der Energie und Power, mit der sich hier bewegt, vor allem getanzt wird. Allabendlich finden sich alle Jugendlichen zum „cultural evening” zusammen und dann wird drei Stunden ohne Pause getanzt, gesungen, geschauspielert und geschrien. Die typisch indischen Tanzbewegungen scheinen jedem Inder automatisch innezuwohnen, tanzen und singen ist hier so natürlich wie laufen.

Den letzten „culturel evening“ haben wir in einen Circusabend umgestaltet und waren erstaunt über die vielen Beiträge der Trainees, die zeigten, was sie von uns gelernt haben.

Nachts wird nur wenige Stunden geschlafen und frühmorgens schon wieder, noch vor dem Frühstück, zwei Stunden Gartenarbeit betrieben, Wasser aus einem öffentlichen Tank ins Zentrum getragen und ähnliches. Ein müdes Gesicht sieht man dennoch kaum, außer natürlich unsere.

Zum einen fühlen wir uns hier sehr wohl und genießen die Einfachheit, die sich durch alle Handlungen, alle Arbeitsabläufe zieht. Auf Feuer wird gekocht, auf dem Boden sitzend, mit den Händen gegessen, drei Mal täglich Reis mit Gemüse, auf Pritschen oder meist dem Boden geschlafen. Das Zusammenleben ist viel selbstverständlicher als bei uns, es wird kaum analysiert und hinterfragt.

Als Europäer wird man hier jedoch als eine Art weißes, zerbrechliches, unfehlbares Wesen behandelt, jede noch so kleine Arbeit wird einem abgenommen, jede Handlung, die man tut und sei sie noch so simpel, mit einem „Super, Super” kommentiert.

Jeder Schritt, den man geht, jedes Wort, das man spricht, ist etwas Besonderes und in jedem Fall richtig. Zum Teil ist diese „Überbewertung” extrem anstrengend. Noch nach drei Wochen Zusammenleben müssen wir uns gegen dieses Bild jedesmal von neuem zur Wehr setzen und unendlich viele Begünstigungen abwehren.

Doch auch wenn wir wahrscheinlich nie eine wirklich gleiche Ebene erreichen können, so haben wir doch mehr und mehr das Gefühl, selbstverständlicher Teil zu sein und die Distanz verkleinert sich täglich. Mittlerweile nehmen wir auch an allen Arbeitsabläufen der Trainees teil und können uns viel besser einbringen.

In der nächsten Zeit möchten wir mit der kleinen Gruppe an VRO-Trainees weiterarbeiten, da hier eine sehr starke Motivation und Interesse weiterzulernen und Angefangenes zu vertiefen spürbar ist.
Zu den zwanzig Health-Care-Trainees kommen noch die 15 Schneiderinnen dazu, die während des Camps woanders untergebracht waren. So kann der eine Teil der Gruppe, der schon an einigen Circusstunden teilgenommen hat, den Neulingen schon Gelerntes mit uns zusammen übermitteln.

Wir planen dann mit sehr kleinen Gruppen zu arbeiten, um Konzentration und einen wirklichen Lernerfolg zu erreichen. Das Training möchten wir durch ein Trapez erweitern, sowie durch die Verbindung von indischen Tanzschritten und Akrobatik.

Nach weiteren drei Wochen wollen wir ein kleines Programm mit den 35 Mädchen erarbeitet haben, das wir in mehreren VRO-Dörfern der Umgebung aufführen können.

Mitte Februar werden wir in die Guntur-Region reisen, um dort in Rajupalem, einem großen Kinderdorf mit anschließendem BPTC für ältere Jungen, ein weiteres Circuscamp abzuhalten. Dort gibt es nicht sehr viele Volunteers und anscheinend Probleme, die Jugendlichen zu motivieren. So hoffen wir, dort vielleicht einen kleinen Impuls geben zu köönnen.

Die letzte Woche unserer Reise werden wir in Perecherla verbringen, um die dortige VRO- Tamilschule zu besichtigen.

 

Zur jetzigen Situation der VRO Indien

Aus zwei Gesprächen mit Pater Santiago und Pater Peter Daniel haben wir ein wenig über Projekte und Pläne der VRO Indien mitbekommen.

Nach Ansicht beider sei die Organisation auf einem guten Weg aus der Krise; vor allem die Ausbildungszentren und Kinderdörfer seien stark verbessert worden und hätten einen regen Zulauf.

Allerdings soll auch die Dorfarbeit wieder aufgenommen werden, die in der letzten Zeit stark vernachlässigt wurde. Doerfer und Zentren sollen wieder stärker voneinander abhängig werden, um ausgebildetete  Arbeitskräfte für die Dorfarbeit nicht an die Städte zu verlieren.

Diese Abhängigkeit soll auch gewährleistet werden durch Kreditvergabe der VRO an Einzelpersonen in VRO-Dörfern, die ihre Zinsen und nach Abschluss der Rückzahlung eine Spende an die Ausbildungszentren abgeben sollen. Zum zweiten Mal wird diese Kreditvergabe im April diesen Jahres stattfinden.

Strukturveränderungen soll es auch innerhalb der Ausbildungszentren geben, die zum Teil aufgelöst werden, um dafür andere Zentren zu vergrößern.

Wir kündigten bereits Interessenten der VRO Deutschland für eine Indienreise im nächsten Jahr an und natürlich seid ihr herzlich willkommen.

Leoni